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Zoroaster – Leben und Wirken des Wegbereiters in Iran

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1-6 Tage

Als Sohn eines Pferdehirten geboren, wächst Zoroaster in enger Naturverbundenheit auf. Die Einsamkeit der Bergwelt verhilft ihm zur Erkenntnis, daß es nur Einen, den höchsten Schöpfergott gibt, der über allen „Göttern“ steht. Diese Wahrheit zu künden, wird zu seinem Lebensziel. Sein Weg führt ihn an den Hof des Fürsten Hafis, der seinerseits noch dem alten Glauben an Ahuramazda als dem höchsten Gott verbunden ist. Doch im Lande und im Volke ist der Vielgötterglaube weit verbreitet, Ungerechtigkeit und Unterdrückung durch priesterliche Macht gehen damit Hand in Hand. Die Menschen leiden darunter, und mit des Fürsten Unterstützung macht sich Zoroaster auf, um von Ahuramazda zu künden. Für viele wird er Helfer in geistiger Not. In Jadasa trifft Zoroaster auf eine Frau, die an seiner Seite ihn segensreich ergänzt und unterstützt: denn gerade die Frauen werden in weiten Landesteilen in Unwissenheit über alle geistigen Dinge gehalten. Im Zusammenklang mit Fürst Hafis’ weiser Leitung entfaltet sich eine friedevolle Epoche, die ihren Ausdruck in einer blühenden Kunst und Kultur findet und unter dem Segen Ahuramazdas steht. In seinen späteren Lebensjahren kündet Zoroaster, daß ein Endgericht und mit diesem der „Weltenrichter“ kommen wird.

ZOROASTER

DA, WO aus unzähligen sprudelnden Quellen sich der wilde Karun bildete, um sich dann tobend und brausend über die Felsen abwärts zu ergießen, lag mitten zwischen drohendem Gestein eine große Ebene.
Dichte Gebüsche des stachligen Tragants umschlossen sie, so daß Wege durch diese Stachelpolster hindurchgehauen werden mußten, damit ein Menschenfuß imstande war, die Ebene zu betreten.
Nur zu der Zeit, wenn Sonnen- und Mondgott sich in die Herrschaft über die Tage der Menschen brüderlich teilten, war diese weite Fläche von Grün überzogen. Dann aber war sie auch unsagbar schön.
Wie Edelsteine funkelten die Gräser und Moose, die ihr kurzes Dasein von zwei Monaten lichttrunken genossen. Die Stachelbüsche schmückten sich mit süßduftenden, sonnengelben Blüten, die an die zarten Sonnenvögel gemahnten, die auf buntbemalten Schwingen die Blüten umflogen.
Dann kamen die Menschen in Scharen in diese wundervolle Gegend. Wo sie eine Stelle in den wilden Felsen fanden, an der sie nächtigen konnten, errichteten sie Lagerplätze. Der Atravan, der Priester, gestattete nicht, daß sie auf der Ebene länger verweilten.
Sie war dem Sonnengotte Mithra heilig, dem lichten, gütigen Gott, der Segen spendete und die Menschen liebte.
Darum fanden auch hohe, herrliche Feste zu seinen Ehren statt. Die Felsen hallten von dem Jubel der Menschenstimmen wider, die Lieder sangen zu seinem Preis.
Manchmal antwortete aus der Ferne das Brüllen eines Löwen, aber das ließ kein einziges Herz ängstlich schlagen. Solange man auf Mithras Platz war, durften die reißenden Tiere sich keinem Menschen nahen.
Eifrig war der Atravan beschäftigt, mit seinen Gehilfen, den Mobeds, die Steinhaufen zu rüsten, auf denen bei Einbruch der Dunkelheit die heiligen Feuer entzündet werden sollten. Nur die zwei ältesten Mobeds durften ihm dabei helfen. Sie mußten ein fleckenloses Leben führen; denn nur ganz reine Hände durften die heiligen Steine berühren.
Die übrigen fünf Mobeds, deren jüngster kaum dem Knabenalter entwachsen war, liefen hierhin und dorthin, um Schlangen und Mäuse zu töten oder auch nur zu verscheuchen.
Die Lagerplätze der nach Hunderten zählenden Andächtigen wurden bereitet. Niemand aber hätte gewagt, sich Mithras Garten eher zu nahen, als bis der Gesang des Atravan das Zeichen zum Beginn des Festes gab.
Sorgsam waren die hohen Steinhaufen geschichtet, nachdem der Atravan genau die Himmelsrichtungen festgelegt hatte.
Einer stand dort, wo die goldenen Strahlen des Morgens das Grau aus Maonhas Reich verscheuchten. Das war der größte von allen. Der nächste stand genau gegenüber, die beiden anderen rechts und links, alle in gleichem Abstand voneinander. In der Mitte des Platzes waren im Dreieck drei Steinhaufen errichtet.
Unter Hersagen von Gebeten an Mithra stellte der Atravan auf jede dieser Opferstellen eine tiefe eiserne Schale, die mit dürren Zweigstückchen gefüllt war.
Alle sieben Mobeds mußten nun Bündel der stachligen Tragantzweige bereiten, mit denen sie während der ganzen Feier Ungeziefer abzuwehren hatten.
Damit kein Mensch sich daran verletze, mußten sie sie hochhalten, bis sie benützt würden. Das war manchmal anstrengend; aber Mobed sein zu dürfen, war eine hohe Ehre, nicht nur für den Jüngling selbst, sondern auch für die ganze Familie, so daß jeder gern die Mühe auf sich nahm.
Inzwischen war der Atravan hinter einen Felsvorsprung getreten und hatte sich zur Feier gekleidet.
Er trug ein weißes Wollgewand ohne jeglichen Schmuck. Die Stirn umgab ein kostbarer Reif, so dicht ausgelegt mit stumpfen, blaugrünen Steinen, daß von dem Gold, aus dem er geformt war, nichts zu sehen war.
Er trat in die Mitte des Platzes und schlug in die Hände.
Hinter einem anderen Felsen traten vier weißgekleidete Jungfrauen hervor. Silberne Stickerei zierte ihre Gewänder, die lose fließend ihre schönen Gestalten umhüllten.
Ketten von blaugrünen Steinen trugen sie mehrfach um den Hals und durch die blauschwarzen, zu Zöpfen geflochtenen Haare geschlungen.
In den Händen hielten sie goldene Gefäße mit kostbarem Öl, mit dem sie unter den Gebeten des Atravan die Schalen auffüllten.
Er rief Atar an, den Gott der Flammen, daß er der Feier gnädig sei.
Ein jüngerer Bruder Mithras war Atar, der von dem älteren alle Glut erhielt, deren er bedurfte. Also stand zu hoffen, daß er keine Mithra-Feier stören würde. Der jüngste Sproß dieser Feuerbrüder war Thraetvana, der Blitzgott, der unruhigste, unbeherrschteste von ihnen allen.
Nun war alles zur Feier bereit.
Die jüngste der Priesterinnen trat auf den Atravan zu und legte ihm ein kostbar besticktes, weißseidenes Tuch so über das Gesicht, daß es Mund und Nase deckte, damit der Atem des Mannes die heiligen Feuer nicht traf.
Die Priesterinnen bedurften solchen Schutzes nicht, ihr Atem galt als rein.
Feierlich schritten die vier Jungfrauen hinter den Felsen und brachten von dort eine Schale mit Feuer, aus der sie, während der Atravan unausgesetzt betete, Brände in die sieben Schalen legten.
Als die letzte Opferschale flammte, verstummte der Priester, die älteste der Jungfrauen aber trat an seiner Statt zu den drei Mittelflammen, hob Arme und Hände und bat die Götter um ihren Segen.
»Rein wie die Flamme, die alles Böse verzehrt, lasset unsere Herzen sein, Ihr Hohen!« flehte sie in vorgeschriebener Weise. »Sendet den Geist heiligen Feuers in uns, daß es uns ausbrenne und läutere!«
Dann trat sie an die östliche Schale, während die Gefährtinnen die drei anderen äußeren Flammen betreuten und der Atravan in der Mitte stehenblieb.
Mit lauter Stimme begann er darauf einen Gesang, der Atar und Mithra gemeinsam verherrlichte.
Nun strömten die Feiernden herbei. Von allen Seiten kamen sie, teils über Felsgrate kletternd, teils durch die Wege im Gebüsch schlüpfend, trotzdem aber würdig und voll angeborenem Anstand.
Eine Seite des Platzes nahmen die Frauen ein, die in vielfarbige Gewänder gekleidet, mit schönen Ketten und Stirnreifen geschmückt, ein buntes Bild boten.
Gegenüber standen die Männer. Prächtige Gestalten, groß und schlank gebaut, die Gesichter sonnengebräunt. Sie trugen reich mit Silber verzierte schwarze Gewandung, über die die meisten ein Wolfsfell gelegt hatten, das durch eine silberne Kette zusammengehalten wurde. Hohe Fellmützen trugen sie auf dem Kopf. Im Nacken waren ihre Haare abgeschnitten.
Wer stand, stimmte sofort in das Lied des Atravan ein, so daß ein voller Chor von Männer- und Frauenstimmen zum Himmel emporbrauste.
Als der Gesang beendet war, brachte die älteste Priesterin einen silbernen Becher und einen ebensolchen Krug mit dem Saft der Hamao-Pflanze zum Atravan, der beim Sprechen von Gebeten den Becher füllte, davon trank und ihn dann weiterreichte.
Jeder erwachsene Mann durfte einen Schluck des Getränkes nehmen. Von Zeit zu Zeit brachte einer der Leute den geleerten Becher zu der Priesterin, die ihn wieder füllte.
Das alles ging in großer Feierlichkeit, in würdigem Schweigen vor sich.
Als alle Männer einen Schluck Hamao erhalten hatten, goß die Priesterin den übrigen Saft über die Opferschale an ihrem Platz. Bläulicher Rauch stieg empor, zu eigenartigen Gebilden sich formend.
Es waren nur wenige Augenblicke, in denen dies geschah, aber sie genügten der Jungfrau, allerhand zu sehen, was sie nun mit leicht singender Stimme kündete.
Gebannt lauschte die Menge, entnahmen sie doch den Worten der heiligen Kündung etwas Besonderes für ihr eigenes Leben während der nächsten zwölf Monate.
Als sie geendet, brach die Menge in jubelnde Rufe aus.
Dank sollten sie bedeuten, Dank an den Sonnen- und Lichtgott Mithra, der ihnen wieder Verheißungen für die nächste Zeit gespendet hatte.
Ein Zuruf des Atravan setzte diesen Kundgebungen ein Ende. Die vier Priesterinnen traten zu den Mittelflammen und stimmten einen Gesang an zu Lob und Preis von Dijanitra, der reinen, holden Frau.
Danach sprach der Atravan ein langes Gebet, und in feierlichem Zuge entfernten sich die Priesterinnen mit den Frauen.
Diese entzündeten ein bereitgehaltenes Bündel trockener Reiser an der ihnen zunächst befindlichen Opferflamme, gleichsam als wollten sie das Feuer für den häuslichen Herd von heiliger Flamme speisen lassen.
Die Männer aber lagerten sich im Kreise. Vergorener Hamaosaft wurde in steinernen Krügen gebracht, aus denen die Männer nach Belieben in langen Zügen tranken. Es kam nie vor, daß einer von ihnen des berauschenden Getränks zuviel nahm. In Mithras Garten war man bedachtsam.
Der Atravan ließ sich ein Bündel Felle bringen, auf dem er sich niederließ. Auch die Mobeds kamen herzu.
Die Nacht war hereingebrochen, Maonha schickte zitternde Strahlen vom dunkelblauen Himmel hernieder. Da waren keine Schlangen mehr zu fürchten, andere Tiere aber hielten die Flammen fern.
»Erzählen, erzählen!« erscholl ermunternder Zuruf.
Ein Weilchen ließ sich der Atravan noch bitten, das mußte so sein. Dann schaute er zum Himmel empor und begann:
»Ihr Männer von Iran, Ihr wißt, wie einst diese Welt geschaffen wurde.
Der weise, Heilige Geist Ahuramazda (auch: Ormuzd) lebte ganz allein in den sieben Himmeln. Einsam war es um ihn, unermeßlich weit dehnten sich seine Reiche, aber er war allein, ganz allein.
Da beschloß er, etwas zu erschaffen, was ihm Freude bereiten könnte.
Er erdachte sich Wesen, und wie er sie erdachte, so waren sie da! Zuerst dachte er Mithra, die leuchtende Sonne, denn Ahuramazda liebte alles Helle. So liebt er auch Mithra am meisten von allen Göttern, die er geschaffen.
Neben Mithra stellte er Maonha, den Gott des blassen, stillen Mondes. Er sollte sich mit Mithra in die Tage teilen. Sein Licht ist nicht so gewaltig wie das Mithras, darum sollte er den Tagesanfang, den wir Menschen Nacht nennen, übernehmen, damit das Leuchtende ihm folge.
Aber sein Licht ist zu schwach, manchmal verlöscht es ganz. Seht, wie seine Strahlen zittern!
Das sah Ahuramazda und gab ihm Hilfe: Tishtrya mit dem leuchtenden Mantel stellte er neben ihn. Nicht zu zählen sind für ein Menschenauge die blitzenden Sterne, die des Sternengottes Mantel schmücken.
Da bat Mithra: ›Herr, Du hast Maonha einen Bruder gegeben, schenke mir auch einen, damit ich nicht allein bin!‹
Ahuramazda willigte ein; aber nicht zur Hilfe gab er Mithra die Geschwister, die sein Wunsch ihm beschert. Hüten sollte er die Wilden: Atar, den Feuergeist, und Thraetvana, den Blitzgott. Aber Mithra freute sich, daß sie leuchtend waren wie er.
›Flammenbrüder sind wir!‹ rief er über alle Welt.
Und Ahuramazda schuf den Luftgott Vayn, der mit weitem Mantel daherbraust, in dessen Falten die Winde verborgen sind, warme und kalte, sanfte und starke, ein ganzes Geschlecht beweglicher Gesellen. Sie spielen mit den Flammen und lehren sie tanzen. Aber Maonhas Strahlen sind ihnen zu blaß.
Nun dachte Ahuramazda an klares, sprudelndes Wasser, wie es perlend dahintänzelt, wie es plaudert und lacht, singt und braust. Und als er dachte, formte sich eine liebliche Frau. Singend und lachend, mit Perlengeschmeide im langen Haar, stand sie vor dem weisen Gott, der sie erdacht: Ardvisura Anahita, die Wonnereiche.
Auf einmal war Leben in den sieben Himmeln, frohes Leben, aber Ahuramazda dachte daran, daß er seine Einsamkeit mehr geliebt habe als jetzt das sprühende Leben. Und er dachte sich eine Welt, in der die Götter herrschen sollten. Von oben wollte er hinabschauen, wollte die einzelnen rufen, sooft er Sehnsucht nach Gesellschaft hatte.
Seht, Ihr Männer von Iran, so entstand die Erde, unsere Erde, auf der wir leben. Felsen, Wasser und Pflanzen hatte Ahuramazdas Denken erschaffen, und die Götter spielten mit der Erde lange, lange Zeit. Ein Mensch kann gar nicht so weit denken, wie diese Zeit zurückliegt.
Ahuramazda war zufrieden, die Götter waren beschäftigt und störten ihn nicht. Und gerade als er das dachte, da kamen sie und baten:
›Herr, setze Wesen auf die Erde, die uns untertan sind.‹
›Wie sollen sie beschaffen sein?‹ fragte der weise Gott gütig.
›Sie sollen uns ähnlich sein‹, bat Ardvisura Anahita, die Liebliche.
›Laß sie ganz anders sein, plump und ungestalt, aber stark und mutig, so daß wir Spaß an ihnen haben‹, rief Atar.
Da dachte Ahuramazda zwei Wesen, den Menschen nach Anahitas Bitte, den Stier nach Atars Wunsch. Und die Götter freuten sich und waren zufrieden.
Wieder vergingen unendlich lange Zeiten. Sie brachten reichen Wandel auf der Erde; denn immer wieder lenkten die Götter das Geschehen hier unten in anderer Weise.
Der Mensch hatte sich vermehrt, es waren viele Arten von Menschen entstanden, ebenso war es dem Stier ergangen, aus dem alle die Tiere geworden sind, die Ihr kennt. Von diesen Tieren hatten alle Götter besondere Arten unter ihre Herrschaft begehrt. Das wißt Ihr ja.
Die Vögel gehören Vayn, die Fische, Schlangen und Frösche der lieblichen Anahita.«
Der Atravan schwieg. Die Krüge waren geleert.
»Weitererzählen«, baten viele der Zuhörer.
Aber die Flammen waren am Verlöschen, es war Zeit, die Lagerplätze aufzusuchen.
Am nächsten Tage hallten die Berge von fröhlichen Rufen wider. Die Frauen suchten Strauchfrüchte zur Labung; die Männer streiften umher, schauten in die Horste großer Vögel, vertilgten giftige Schlangen und sprachen von dem, was sie gestern gehört hatten.
Als Mithra daran ging, seine Strahlen zu bergen, tönte ein metallener Klang: einer der Mobeds schlug mit einem dicken Stabe im Takt gegen eine Eisenscheibe, die an einem der höheren Sträucher frei aufgehängt war.
Schön klang es nicht, aber es scholl weithin und war den Männern das Zeichen, daß sie sich versammeln durften, den Reden des Priesters zu lauschen.
Eifrig kamen sie herbei. Wohl hatten sie das meiste schon früher gehört, aber immer wieder erzählte der Atravan in anderer Art, immer kam Neues dazu.
Es war das einzige Mal im Verlauf des Jahres, wo sie alle unterwiesen wurden. Davon mußten sie dann in Gedanken zehren.
Die meisten der Männer waren Viehhirten, die einsam bei ihren Herden weilten. Da hatten sie Zeit und Muße genug zum Nachdenken. In Gedanken lebten sie mit den Göttern, von denen sie nun wieder hören durften.
Der eine erfuhr unter Maonhas blassen Strahlen Geheimnisse über das Zusammenwirken der Kräfte in der Natur, der andere schöpfte aus Mithras Gluten Mannesmut und Unerschrockenheit.
Als der Platz sich gefüllt hatte, kein Nachzügler mehr zu erwarten war, entzündete der Atravan die drei Mittelschalen, in denen aber das wohlriechende Opferöl fehlte.
Die Mobeds hatten Bündel trockener Zweige herbeigebracht, mit denen sie die Flammen nährten, die nur zur Beleuchtung dienten.
Der Atravan setzte sich. Heute trug er ein dunkelbraunes Gewand aus weicher Wolle, das von einem weißen Strick gehalten war. Der Stirnreif fehlte.
»Ich sagte Euch gestern, Ihr Männer von Iran, wie herrlich die Erde und alles, was auf ihr lebt, erschaffen worden war.
Ahuramazda, der weise Gott, aber sah, daß die Menschen sich an die Götter hielten, die sie sahen und von denen sie beherrscht wurden. Darüber vergaßen sie, daß er über den Göttern stand, daß ein einziger Gedanke von ihm alles vergehen lassen konnte, so wie er auch alles geschaffen hatte.
Da dachte er Wesen, die er nach Belieben zu den Menschen senden konnte, um sie zu beeinflussen, ihnen zu helfen oder sie zu belohnen.
Ihm aber sollten sie dienen, in seiner Nähe sich aufhalten, zwischen ihm und den Göttern stehen.
Und er dachte die Wahrheit, eine wunderbare Frauengestalt in blauem Gewande, mit klaren, blauen Augen. Wohin er sie sendet, da kann kein Schatten bestehen.
Als Schwester gab er ihr die Reinheit in silberweißem Kleide, mit einem lichten Schleier vor dem lieblichen Antlitz. Kühl ist sie wie der Schnee auf den höchsten Gipfeln unserer Berge, unnahbar, und doch erreichbar für alle, die ihr zustreben.
Nachdem Ahuramazda diese beiden zu den Menschen ausgesendet hatte, sah er, daß die, die sich ihnen zugesellten, sich besser dünken wollten als die anderen.
›Das darf nicht sein, sonst verderben die Menschen das, was ihnen Heil bringen sollte.‹
Als Ahuramazda, der weise, gütige Gott, so dachte, da schuf seine Fürsorge eine schlichte, unscheinbare Frauengestalt in silbergrauem Gewande. Sie folgt Wahrheit und Reinheit und faßt mit sanfter, linder Hand nach denen, die sich an sich selbst berauschen wollen.
Die Demut heißt dieses holde Kind, das tief in sich den Schatz trägt, den Ahuramazda, der Gott, selbst hineingelegt. Wer die Demut erkennt, wer von ihr geliebt wird, der empfängt Seligkeit.
Treu halfen diese Dienerinnen dem höchsten Gott. Lieb wurden sie ihm und unentbehrlich.
Er wollte ihnen zeigen, daß er mit ihnen zufrieden war, und erlaubte ihnen, daß sie sich das erdachten, was aus ihrem Wirken für die Menschen zum Segen dieser Geschöpfe entstehen könnte. Dieses Gedachte wollte er dann beleben und ihnen schenken als Lohn.
Da dachte die Wahrheit die Weisheit, die immer bei den nach Wahrheit strebenden Seelen bleiben konnte. Und sie wurde ihr zugesellt.
Die Reinheit lächelte. Da wußte der gütige Gott, was sein liebstes Kind sich wünschte, und schenkte ihr das Aufblühen der Menschenseelen, die sich von ihr leiten lassen.
Ihr wißt es ja, Ihr Männer: wer hier auf Erden nach Reinheit strebt, der wird zur Freude für uns alle. Denkt an Eure Frauen! Denkt an die lieblichste Erdenfrau, von der wir wissen, an Fürstin Dijanitra.
Die Demut aber bat: ›Herr, laß in den Seelen den Wunsch aufgehen, daß sie das, was sie erhalten, weitergeben möchten. Laß sie von sich selbst fort zum andern finden.‹
Da dachte der Gott die Liebe, die sich selbst vergißt.
›Sechs reine Frauen umgeben mich‹, sagte er sinnend, ›sie entstanden aus meinem Denken. Aber aus meinem Willen will ich einen Mann neben sie stellen: den Helden! Er soll alle Tugenden des rechten Mannes in sich tragen.‹«
Bei diesen Worten des Atravan kam Leben in die lauschenden Männer. Sie streckten sich, ihre Züge leuchteten. Sie wußten von den Tugenden, die den Helden zieren, sie mühten sich von ihren ersten Lebensjahren an, wahre Helden zu werden.
Und weiter erzählte der Atravan:
»Lange, lange Zeiten schwanden dahin. Menschengeschlecht um Menschengeschlecht erstand und versank. Treu mühten sich die Diener Ahuramazdas um die Erdenbewohner. Voll Freude schaute der Gott auf seine Geschöpfe.
Da erstand Fürchterliches. Um dies Erstehen zu begreifen, müßt Ihr wissen, daß alles Falsche, was wir Menschen tun, unter die Erde fällt. Da ist ein Ort, wo all dieser Unrat gesammelt wird.
Dorthin kommen auch alle schlechten Worte und alle bösen Gedanken. Und in der langen, langen Zeit, die seit Erschaffung der Erde vergangen war, hatte sich unausdenkbar viel dort angesammelt.
Nun war aber noch Leben in manchem, was da unten ankam. Und dieses Leben ballte sich zusammen und bekam Kraft und wurde zu Anramainyu, dem Geist des Bösen. Geboren aus dem Unrat alles Irdischen, konnte er auch nur Entsetzliches erzeugen. Er wußte von Ahuramazda und wollte es ihm gleichtun.
›Lebst Du in den sieben Himmeln über der Erde‹, rief er, ›so werde ich in den sieben Höhlen unter der Erde wohnen! Du hast Götter erdacht, wohlan, ich werde es Dir gleichtun!‹«
Ein Schauer durchzuckte die Männer. Manchem krampfte sich das Herz zusammen, andere ballten die Hände und hieben mit der Faust durch die Luft.
Der Atravan aber fuhr fort:
»So sehr sich Anramainyu aber auch mühte, Götter zu schaffen, es gelang ihm nicht; denn er selber war ja nicht Gott, sondern nur ein böser Geist. Das ist ein großer Unterschied. So konnte er auch nur Geister erzeugen.
Er schaute empor zum Himmel. Was sollte er Mithra, Maonha und Tishtrya gleichsetzen? Sein Verlangen wurde übergroß. Da entstand Azhi, die große, unheimliche Wolkenschlange. Ihr alle habt sie oftmals gesehen, wenn sie sich daherwälzt, unheildrohend.«
Die Männer nickten.
»Danach schuf sein böses Wollen Apaosha, den Dämon der Trockenheit, der allen Göttern immer wieder Sorgen und Mühe bereitet. Dann lacht Anramainyu und dünkt sich als der oberste aller Götter.
Als er aber seine Geschöpfe mit den Göttern verglich, sah er, daß sie matt und häßlich waren. Keines konnte neben den hellen Gestalten bestehen. Ungeheure Wut erfaßte Anramainyu und gebar Äshma, den Zorn. Kraft hat er wie keiner sonst, an Glut könnte er zu den Flammenbrüdern gehören, aber er hat einen großen Fehler – er ist blind.«
Die Männer lachten. Sie freuten sich, daß der Zorn hinter den Göttern zurückstehen mußte. Es war recht, daß er nicht sehen konnte, wen er traf. Dadurch schadete er so oft sich selbst und denen, die er leitete.
»Allmählich fand Anramainyu heraus«, fuhr der Atravan fort, »daß Ahuramazda sich noch besondere Diener erdacht hatte, deren Wirken segensreich war.
So mußte er also auch Wesen erschaffen, die das wieder vernichten konnten, was die anderen aufbauten. Sorgfältig forschte er, achtsam lauerte er, dann wußte er es.
Statt der Wahrheit erschuf er die Lüge, die auf den ersten Blick schillernd schön erschien. Faßte man sie aber genauer ins Auge, so sah man, daß alles an ihr unecht war. Aber sie begegnete den Menschen so freundlich, viel liebenswürdiger als die zurückhaltende Wahrheit. Da strömten die Menschen ihr zu, ließen sich täuschen und lernten die Unwahrheit.
Die liebliche Reinheit schien ihm zu unverletzlich, er wußte nicht, was er ihr entgegenstellen könnte. Da schuf er drei Wesen: die Lüste. Sie zogen und zerrten an dem Menschen, bis er sich irgendwo befleckt hatte. Dann ging es vollends rasch abwärts mit ihm. Eifrige Dienerinnen des bösen Geistes waren die lärmenden, auffallenden, kreischenden Lüste.
Der Demut stellte er den Hochmut gegenüber. Damit hatte er leichtes Spiel; denn das war ja eine Gefahr, die der Mensch sich beinahe selber geschaffen hatte. Was den anderen Dienern Anramainyus nicht gelang, brachte der Hochmut zustande, dem sich die Selbstsucht gesellte; denn auch diese Diener wollten Begleiter haben.
Die Lüge erwählte sich die List, die Lüste aber schufen die Krankheit
Mit allen diesen Dienern trat nun Anramainyu auf den Plan, Ahuramazda das Reich zu entreißen. Es lag ihm daran, die Menschen in seine Gewalt zu bekommen. Je mehr auf den Unrathaufen geworfen werden mußte, desto kräftigere Gefolgschaft entstand dem bösen Geist.
Ihr könnt Euch nicht vorstellen, wie entsetzlich die Kämpfe waren, wieviel ihnen zum Opfer fiel.«
Da der Atravan eine Pause machte, fragte einer der Hörer:
»Warum hat Ahuramazda, der oberste aller Götter, nicht ein Ende gemacht mit dem Widersacher? Es müßte ihm doch leichtgefallen sein.«
»Gewiß«, versicherte der Priester, »so hätte er tun können, wenn er gewollt hätte. Aber er wollte, daß seine Geschöpfe sich selber für Gut oder Böse entscheiden sollten. Mochte der, der es nicht anders begehrte, ruhig Anramainyu und damit der Vernichtung anheimfallen. Das war besser, als ein Reich unselbständiger Menschen zu haben.
Euch freuen in Euren Herden doch auch die Tiere besonders, die selber denkend sich die Weide suchen. Die Masse Vieh, die blind hintereinander herläuft, ist langweilig. So überließ der weise Gott die Menschen ihrem freien Willen und gestattete nur, daß die Götter und seine Diener denen, die guten Wollens sind, helfen.
Dabei aber errang der Böse einen Sieg nach dem anderen. Aus dem blühenden Garten, der die Erde einst war, wurde ein Steinmeer und eine Wüste, wie Ihr sie jetzt kennt. Ihr könnt Euch ein Land in Schönheit nicht mehr denken. Erahnen könnt Ihr es, wenn Mithra zwei Monate lang unsere Gefilde blühen läßt.«
»Aber das kann doch nicht ewig so weitergehen«, seufzte einer der jüngeren Männer. »Sonst bleibt am Ende nichts mehr von unserer Erde übrig, an dem die Götter und Ahuramazda sich noch freuen können.«
»Nein, das geht nicht in Ewigkeit so weiter«, bestätigte der Atravan. »Wir haben eine Weissagung, daß die Zeit der Erde nicht ewig sein wird. Sie wird unermeßlich lang sein. Diese Länge hat Ahuramazda in drei Teile geteilt. Sie sind gleich lang. Der erste währte von der Erschaffung der Erde bis dahin, als der Gott den Urmensch und den Urstier erdachte.
Der zweite Teil soll sein Ende finden, wenn der Wegbereiter, der Zoroaster, geboren wird. Dann wird die dritte Zeit einsetzen. In dieser aber wird der Menschheit der Saoshyant, der Helfer, geschenkt, von dem der Zoroaster künden wird.
Noch wissen wir weder, wer der Saoshyant sein, noch wie er die Menschen von dem Bösen erlösen wird. Aber er wird kommen, und wir werden glücklich sein.«
Aufatmend schloß der Sprecher seinen langen Bericht, aber er stand nicht wie sonst auf. Man merkte, daß er noch etwas, vielleicht das Wichtigste, zu sagen hatte.
Inzwischen fragte einer der Männer:
»Wird es noch lange währen, bis der Wegbereiter kommt?« Der Priester erhob sich. Feierlich stand er vor ihnen.
»Ihr Männer von Iran«, sagte er, jedes Wort betonend, »ich habe Euch dies alles so ausführlich erzählt, um Euch ein Neues zu künden.
Unser Forschen in den Sternen hat uns gezeigt, daß der Zoroaster geboren worden ist.«
Er konnte nicht weitersprechen, brausender Jubel erhob sich. Lange
wehrte er vergeblich, endlich gelang es ihm, wieder zu Wort zu kommen.
»Damit ist der zweite Teil unserer Erddauer zu Ende. Ihr wird geholfen werden, daß sie das wieder werden kann, wozu Ahuramazda sie einst geschaffen hat. Lasset uns ihm danken!«
Aus bewegtem Herzen sprach er ein freies Gebet, dann entließ er die Männer. Die Nacht war hereingebrochen.
Nun kam der dritte Tag des Festes. An diesem nahmen auch die Frauen wieder teil. Sehr erregt kamen sie, denn die Männer hatten ihnen die große Kunde von der Geburt des Wegbereiters übermittelt.
Dieser letzte Feiertag begann, wenn Mithra am höchsten stand. Es waren keine Feuer entzündet; in die Schalen hatte man duftendes Öl gefüllt, das lieblichen Geruch verbreitete.
Zwischen den Männern hatte der Atravan Platz genommen, die Mobeds walteten ihres Amtes als Vertreiber lästiger und schädlicher Tiere.
Malerisch hatten die Zuhörer sich gelagert, Männer und Frauen streng getrennt.
Eine der Priesterinnen trat an die Mittelsteine und erzählte in singendem Ton von der Wolkenschlange Azhi, die sich vorgenommen, den ganzen Himmel zu verdüstern. Unheimlich windet sie sich herauf, bedeckt Stück um Stück des lichten Blaus, macht sich breit und immer breiter, verschluckt Sterne aus Tishtryas Mantel und schnappt nach Maonha, der zu zart ist, sich zu wehren.
Da springt hinter ihr Thraetvana hervor. Mit singendem Schwert schlägt er nach der Unholden! Er trifft gut und trennt den Kopf von dem eklen Rumpfe. Hörbar stürzt der Leib hinab. Lange rollt es noch in den Bergen.
»Lob sei Dir, Thraetvanal!«
Die Erzählerin trat zurück, ihre Stelle nahm eine andere Priesterin ein.
Ebenfalls halb singend, aber mit anderen Tönen und in anderem Rhythmus berichtete sie, wie Anramainyu der Wolkenschlange ein anderes, bissigeres Haupt geschenkt habe. Sie habe aber diesmal vorsichtiger sein wollen. Die Sterne und den Mond habe sie in Frieden gelassen, aber sie habe sich dick und schwer vor alles Himmelslicht gelegt, daß nicht einmal Mithras starke Strahlen mehr hätten zu den Menschen gelangen können.
Da sei in hellem Zorn der andere der Flammensöhne hervorgesprungen: Atar, der Feuergeist, habe sein Schwert gezogen! Nicht nach dem Kopf habe er geschlagen, sondern kreuz und quer den ekelhaften, dicken Leib getroffen, daß das Blut erdwärts geströmt sei. Matter und immer matter sei Azhi geworden, endlich sei sie selber den Strömen ihres Blutes nachgefolgt.
»Lob sei auch Dir, Atar!«
Die dritte Priesterin trat vor. Sie hatte ein kleines Saiteninstrument im Arm, auf dem sie zu ihrer Rede leise Töne erklingen ließ.
Sie erzählte von Apaosha, dem Dämon der Trockenheit, der auf Befehl des Bösen einmal die Herrschaft an sich gerissen habe. Kein Tropfen Regen sei gefallen, wochenlang. Die Menschen und die Tiere seien verschmachtet.
Alles habe zu Ahuramazda gebetet um Feuchtigkeit. Aber der weise Gott habe gewußt, daß Apaosha nur dadurch die Herrschaft habe erlangen können, weil die Menschen schlecht geworden seien. So lag es in ihrer Hand, die Änderung herbeizuführen.
Endlich hätten sie es gemerkt und begonnen, sich zu bessern. Da habe der oberste Gott seinen Göttern erlaubt einzugreifen. Die Götter baten Ardvisura Anahita um Wasser, und sie versprach, so viel zu geben, wie sie immer haben wollten, nur müßten sie es an den Himmel schaffen.
Da begann ein großes Überlegen, wie das zu machen sei, ohne daß Apaosha alles austrinken würde. Endlich war der Entschluß gefaßt.
Tishtrya schickte feurige Sterne aus mit langen Strahlen, die mußten in den Dämon fahren und ihn an vielen Stellen zugleich verwunden. Da zog er heulend in die sieben Höhlen.
Nun mußten alle Sterne die Wasser emporziehen, auch Maonha half ihnen. Es war bald genug Feuchtigkeit oben, so daß die Götter es regnen lassen konnten. In einzelnen schweren Tropfen fiel das Naß, dann wurde es mehr, und schließlich ergoß sich wohltätige Flut über die dürstende Erde.
»Dank Euch, Ihr gütigen Sterne!«
Die oberste Priesterin kam zuletzt. Sie berichtete, daß der Böse sich einen neuen Diener geschaffen habe: den Trug. Überall stelle er sich vor die Wahrheit und hindere deren Arbeit an den Menschen. Sie sollten achtsam sein, daß sie ihm nicht zum Opfer fielen.
Ein Gebet der Priesterin schloß die Feier. Die Menschen traten sofort den Heimweg an, da es angenehmer war, unter Maonhas Strahlen zu wandern als unter Mithras Gluten.
Die Ebene am Ursprung des Karun lag still und verlassen, nachdem die Mobeds die Steinhaufen abgetragen und aus den Steinen einen Wall vor die Zugänge geschichtet hatten.
Als letzter verließ der Atravan den Platz in tiefen Gedanken.
Nun hatte er es den Menschen künden dürfen, daß der Wegbereiter geboren war. Ob sie es verstehen würden? Ob sie begriffen, was es bedeutete? Einunddreißig Jahre alt sollte der Wegbereiter werden, ehe er sein Amt antrat. So lange würde man noch warten müssen. Er würde es nicht mehr erleben.

More Information
ISBN 978-3-87860-119-7
Dimensions 16,50 x 23,50 cm
Format Leinen mit Umschlag
Number of pages 260
Language Deutsch
Delivery time 1-6 Tage